15. Brief (2) – 12. Juli 1942

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– 15 (2) –

Im Osten, den 12.7.42

Mein fernes Lieb!

Heute morgen sollte unsere neue Reise losgehen. Alles war in den frühen Morgenstunden startklar. Unser Wagen fiel leider aus, da wir einen Achsenbruch bekamen. Nun müssen wir hier den ganzen Tag warten, bis eine neue Achse beschafft worden ist. Das kann unter Umständen lange dauern. Die Gelegenheit will ich nun benutzen, um Dir einen möglichst langen Brief zu schreiben und auf alle Fragen einzugehen, die du in Deinen verschiedenen Briefen gestellt hast.

Vorerst will ich Dir noch mitteilen, daß ich gestern eine Menge Post von Dir bekommen habe: Briefe und Päckchen. Es handelt sich um die Briefe Nr. 3, 7, 9, 11 und 12. Dann habe ich noch die Päckchen erhalten, deren Zettel ich Dir hier beifüge. Das finde ich ganz praktisch mit den kleinen numerierten Zetteln für Päckchen. Du bist doch ein helles Frauchen. Ich habe mir eine kleine Liste angelegt und werde den Eingang jedes Briefes und Päckchens genau überwachen und Dir immer sofort bestätigen.

Nun haben Hartwigs auch ihren Stammhalter. Mir ist es gleich, ob Du mir einen Jungen oder ein Mädchen schenkst. Wenn es ein Junge ist, habe ich nur den einen Wunsch, daß ihm später mal der verdammte Kommiß erspart bleibt. Aber bis dahin sind wir 20 Jahre weiter und da kann sich vieles ändern. Die Geburtsanzeige mit den Zeilen von Frau Hartwig füge ich Dir wieder bei.

Von Ludsche habe ich aus Paris einen Kartengruß bekommen. Die Karte war in einem Briefumschlag nach Celle adressiert und wurde mir nach hier nachgesandt. In diesem Viertel von Paris ist Dein Oller oft gewesen. Ich habe ja auch eine Aufnahme von der Kirche Nôtre Dame mit einem Schulkameraden. Ich hatte Dir bereits mitgeteilt, daß ich den Brief, den mir Ludsche aus Hamburg sandte, bereits bekommen habe.

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Wie mir ein Kamerad, der in Köln war, erzählte, muß Köln jetzt sehr schlimm aussehen. Es heißt jetzt nicht mehr Köln am Rhein, sondern Köln am Arsch. Für Zipfel ist das auch ein großer Ausfall. Jetzt wird Toni auch sicher schon in dem verdammten Rußland sein. Alles, was Beine zum Laufen hat, wird an diese Front geworfen. Ich füge Dir die Briefe von Mausi und Toni wieder bei.

Ich bin jetzt schon ziemlich in Rußland rumgekommen und habe ein Bild von dem Sowjetparadies bekommen. Du machst Dir keine Vorstellung, in welchen elenden Behausungen die Menschen hier leben. Einfache halb verfallene Strohhütten sind die Behausungen. Dazwischen leben halb verhungerte Menschen in zerrissenen Kleidern. Auf den Feldern und in den Wäldern treiben sich wild aussehende Kinder, die scheinbar keine Eltern und kein Zuhause haben, herum. Ich habe einen solchen Lausbuben mal fotografiert.

Ein anderes Bild bot sich mir, als ich dieser Tage anläßlich einer kleinen Dienstfahrt mal in eine größere Stadt kam. Wenn auch alles zerschossen war, so sah man doch mal wieder massive Steinbauten. Ich hatte gehofft, daß dort eine Reichskreditkasse gewesen wäre. Dann hätte ich mich mal wieder mit Kollegen unterhalten können. Aber leider war dem nicht so…

Den ganzen Sommer über werden wir wohl in Zelten schlafen. Allmählich habe ich mich an diese Schlafmethode gewöhnt. Man bekommt dadurch wenigstens kein Ungeziefer.

Das einzig Unangenehme ist nur, daß man fast jede 2. oder 3. Nacht Wache hat. Sobald es abends dunkel wird, kommen die russischen Flieger und werfen auf die Vormarschstraßen ihre Last ab. Aber wir liegen mitten im Wald und sind gegen Fliegersicht gut getarnt. In unmittelbarer Nähe haben sie allerdings schon Bomben geworfen.

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Vorgestern Nacht ist ein Russenbomber bei uns abgestürzt. Die Bombenlast ist Gott sei Dank nicht zur Entzündung gekommen. Unsere Offiziere wollten das Flugzeug mal in Augenschein nehmen, um es zu untersuchen und um Fallschirme dort zu finden. Aber die Waffen-SS war schneller und hat sich nachher alle angeeignet. Nur einem unserer Kameraden ist es gelungen, sich eine Pistole und einen schönen Ledergurt zu beschaffen. Die Sachen hat er den toten Russen abgenommen. So etwas brächte ich nicht übers Herz. Aber mit der Zeit wird man das auch noch lernen.

Jeder Soldat, der im Osteinsatz ist, bekommt pro Monat 4 Feldpostluftmarken kostenlos. Ich werde diesen Brief mal mit der Luftpost schicken. Auf dem Briefumschlag werde ich unter dem Wort Feldpost das Datum schreiben, wann ich den Brief abgegeben habe. Teile mir in Deinem nächsten Brief mal bitte mit, wann Du den Brief erhalten hast. 2 solcher Marken schicke ich Dir. Verwende sie, wenn Du mir mal eine dringende Nachricht schnell zukommen lassen willst. Die kannst Du auch in den nächsten Monaten noch verwenden.

Hat Ludsche die Nachricht von der Geburt durch den Belgrader Sender durchgeben lassen? Wir haben zwar Radio, aber wenn diese Nachrichten von Belgrad durchgegeben werden, liegt hier alles in himmlischer Ruhe. Nur die Posten gehen dann noch auf und ab.

Meine Raucherkarte brauchte ich seinerzeit nicht abzugeben. Du bekommst allerdings für mich keine neue. Die Abschnitte hast Du ja nicht verfallen lassen. Zigaretten kannst Du mir immer schicken.

Ob wir jetzt oder später zum Einsatz kommen, kann ich Dir nicht schreiben. Aber als Rechnungsführer bin ich beim Troß und brauchst Du Dir nicht die geringsten Sorgen zu machen.

Du brauchst Dir keine Gedanken zu machen, daß ich Dr. Schmidt zu viel in Anspruch genommen habe. Ich habe mir in Kowno die Hacken schief gelaufen. Merkst Du nicht, wie wackelig ich jetzt schreibe. Ich bin eben ein bisschen Motorrad gefahren und nun zittern mir die Hände. Aber das macht nach langer Zeit mal wieder Spaß.

Ernst-Otto hat ja Glück gehabt, daß er Urlaub bekommen hat. Nun wird er den kleinen Breuer noch vor mir zu sehen bekommen. Grüße Ernst-Otto und seine lieben Eltern recht herzlich von mir. Ich werde ihnen in Kürze auch mal schreiben. Aber erst kommst Du immer dran. Ernst-Otto habe ich vor einem Monat geschrieben. Hoffentlich hat er meinen Brief noch bekommen.

Jetzt ist Ludsche ja auch wieder weg. Es wird wohl lange dauern, bis ich Ludsche mal wieder sehen werde.

Habe keine Sorgen, daß ich mal beim Kommiß unbesonnen bin. Dafür denke ich zuviel an Euch. Man muß eben immer eine Faust in der Tasche machen.

Deinen Talisman, den du mir gesandt hast, habe ich an meine Erkennungsmarke gehängt. Er soll mich vor allen Gefahren beschützen. Ein kleines Schweinchen ist auch der richtige Talisman für mich.

Für die vielen Zigaretten meinen herzlichen Dank, die kann ich immer gebrauchen. Schicke mir auch mal die Russen, damit die mal aufgebraucht werden.

Die beiden Insektenstifte habe ich auch erhalten. Die Gase als Mückenschutz brauche ich nicht mehr, ich werde sie Dir im nächsten Päckchen schicken. Wir haben nämlich alle fabelhafte Mückenschleier bekommen, die über den ganzen Kopf gehen.

Ich habe gar kein Interesse, schnell befördert zu werden. Ich habe den Rechnungsführerposten und bekomme, ob ich Unteroffizier bin oder nicht, auch nicht mehr Geld. Auch habe ich jetzt nicht mehr so großes Interesse, Zahlmeister zu werden. Die Gründe hatte ich Dir bereits mitgeteilt. So als Rechnungsführer habe ich einen angenehmen Posten.

Für den Fall, daß wir Zwillinge bekommen sollten, machst du für Jungs den Vorschlag Kai Max und Nils Ludwig. Ich weiß nicht, wie Du an den Namen Nils kommst. Achte darauf, daß Kai mit i und Annelie mit ie ins Geburtsregister eingetragen wird.

Wenn Du mir schreibst, kannst Du wieder Kanonier M.B. schreiben.

Es wäre ja schade, wenn wir die Geburtsanzeigen nicht drucken lassen können. Hartwigs Anzeige war auch gedruckt. Vielleicht hat Dr. Schmidt einen Weg gefunden.

Daß die Partei neuerdings Telegramme bestätigen lassen muß, ist eine Überraschung.. Was haben die damit zu tun? Hoffentlich gelingt es Dr. Schmidt, mich telegrafisch zu verständigen. Ich hatte ihm eine Vollmacht geschickt und von der Einheit bestätigen lassen. Du glaubst ja nicht, wie ich auf dieses Telegram warte.

Von Heidi hast Du mir nun viel geschrieben. Daß sie Pfingsten so unartig war, habe ich ihr nicht nachgetragen. Küsse und drücke sie tüchtig von mir.

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Wie ich Dir zu Anfang dieses Briefes schrieb, liegen wir jetzt mit unserem Wagen allein im Wald und werden wahrscheinlich einige Zeit von unserer Einheit getrennt sein. Eine neue Achse war in der Stadt nicht zu beschaffen. Nun müssen wir warten, bis wir abgeschleppt werden, das kann eventuell noch lange dauern. Ich finde das mal ganz interessant.

Beifolgend findest Du noch einen Brief von der Reichsbank, den Du in die Akte „Reichsbank“ heftest.

Du hast Glück gehabt, daß unsere Achse am Wagen gebrochen ist. Sonst hätte ich Dir nicht so einen langen Brief schreiben können.

Morgen werden wir in eine große Stadt abgeschleppt. Vielleicht kann ich Dir in den nächsten Tagen viel schreiben. Und nun schlafe wohl und Grüße und Küsse an meine Sprößlinge. Grüße auch Deine Eltern von mir.

1000 Küsse

Euer Vati

 


…ein einfacher Soldat berichtet seiner Familie tagesaktuell von seiner Reise durch Russland – hinein in den Kessel von Stalingrad.

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