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Rußland, den 17.9.42
Mein liebes Frauchen!
Ich wollte es Dir erst verheimlichen, um Dich nicht zu beunruhigen. Aber nachdem ich nur 1 Woche den Betrieb hier mitmache, sollst Du es auch wissen, zumal meine neue Tätigkeit völlig gefahrlos ist. Ich bin als Rechnungsführer abgelöst worden.
Wie mir erst später bekannt wurde, war dieser Posten eine Unteroffizierstelle. Planmäßig war dieser Posten von einem Unteroffizier besetzt, der vor einigen Monaten zu einem Offiziersanwärterlehrgang nach Deutschland kommandiert wurde. Dieser ist nun wieder zur Truppe zurückgekehrt und hat seinen alten Posten wieder übernommen. Ich mußte deshalb als der Dienstjüngere weichen.
Wenn ich das damals gewußt hätte, daß ich diesen Posten nur als Notstopfen bekleiden sollte, hätte ich mir nicht solche Mühe gegeben, ganz neu einen Posten aufzuziehen. Die schönen Schnellhefter und Aktendeckel hast Du mir nun alle vergeblich geschickt.
Man hat mir in Aussicht gestellt, daß ich vielleicht in Kürze den Posten wieder übernehmen könnte. Aber da bin ich nunmehr nicht mehr scharf drauf. Du schreibst in deinen Briefen immer: Hoffentlich wird Dein Gesuch genehmigt. Ich wäre froh, wenn ich es erst garnicht eingereicht hätte. Ich will auch hoffen, daß nichts mehr daraus wird. Denn ich habe keine Lust, 14 Monate nach Kriegsende noch weiter zu dienen. Als Zahlmeister auf Kriegsdauer ist man dazu verpflichtet, wie ich gehört habe.
Nunmehr hat man mich als Fernsprecher eingesetzt. Als solcher bin ich auch in Celle ausgebildet worden. Ich hatte nicht gedacht, daß man als Fernsprecher ein so faules Leben hat. Alle 3 Tage hat man 24 Stunden Fernsprecherwache. Man kann bequem im Bunker schlafen, hat den Fernsprecher neben sich und nimmt nur die Gespräche an. Nach Ablauf der 24 Stunden hat man dann 48 Stunden Ruhe.
Jetzt bin ich auch bei den Kameraden in der Feuerstellung. Als ich letzthin hier mal zum Löhnen war, hatte ich mir das etwas schlimmer vorgestellt. Man muß sich nur erst mal an das Getöse unseres Werfers gewöhnen. Man hat es sehr schnell heraus, wann man sich vor russischem Beschuß in Deckung begeben muß. Du brauchst Dir also nicht die geringsten Sorgen zu machen, daß ich in Gefahr sei.
Das einzigste, was Du mit mir haben kannst, ist Mitleid über das Leben, das man hier in Rußland führen muß. Jede Nacht in einem Erdloch schlafen, den Anzug und die Schuhe schon wochenlang nicht mehr vom Leib, tagelang unrasiert und nicht jeden Tag Gelegenheit zum Waschen. Das sind alles so Sachen, die mir besonders schwer fallen. So raue, durchfurchte und unsaubere Hände hatte ich noch niemals. Nach dem Kriege werde ich mal viel für Körperpflege tun müssen, um nicht gerade wie ein Arbeiter auszusehen.
Augenblicklich stehen wir vor Stalingrad. Von der Höhe kann man die Stadt und die Wolga sehr gut sehen. Man hat den Eindruck, daß ganz Stalingrad in Brand steht. Dichte Rauchwolken ziehen sich über die Stadt. Tag für Tag laden deutsche Bomber ihre Last über der Stadt ab. Ich wundere mich nur, daß die Stadt sich noch nicht ergeben hat.
Wenn Stalingrad gefallen ist, wird sich das Schicksal unseres Regiments entscheiden. Ich hatte Dir schon früher erzählt, daß unser Regiment aus Rußland herausgezogen werden sollte. Man weiß nur nicht, ob dies eine Scheißhausparole ist oder ob doch etwas Wahres dran ist. Jedenfalls gewinnt das Gerücht immer mehr Boden. Sogar die Offiziere reden davon. Augenblicklich erzählt man, daß unser Regiment am 1.10.42 nach Frankreich als Küstenschutz kommen soll. Hoffentlich bewahrheitet sich das nur. Nur weg aus diesem Land, das mit seinem bevorstehenden Winter wie ein Gespenst auf alle Landser wirkt.
Gelegentlich werde ich Dir auch die Sachen mal wieder schicken, die ich nicht mehr gebrauchen kann. Mit 2 Pfd.-Päckchen schicke keine Sachen mehr, die ich für meine Rechnungsführertätigkeit anforderte. Wenn ich den Kocher, Pelzmütze und grauen Pullover habe, brauche ich auch sonst nichts mehr. Dann kannst Du die 2 Pfd.-Päckchen für irgendwelche Leckereien verwenden. Nutze das Gewicht nur richtig aus. Pfefferminz, Sacharin, Zigaretten sind so Sachen, die man immer gebrauchen kann. Das 2 Pfd.-Päckchen, das Du mir am 18.8. abgesandt hast, ist noch nicht eingetroffen. Hier sende ich Dir wieder eine Päckchenzulassungsmarke und 2 Luftfeldpostmarken. Seinerzeit hast Du mir mal so Tabletten „Dextro-Energen“ geschickt. Vielleicht kannst Du solche nochmal auftreiben und mir schicken.
Heute las ich im Fremdenblatt, daß in Planten un Blomen bei günstigem Wetter mittwochs immer große Kinderfeste sein sollen. Wäre das nichts, wenn Du mit den Kindern mal dahin gingest? Für Heidi wäre das doch sicher interessant.
Ich betrachte mir abends so oft Eure Bilder und blicke nach Westen zur Heimat. Wenn man daran denkt, daß man eventuell noch Jahre diesen Krieg mitmachen soll, kann man das arme Tier kriegen.
Mit Urlaub sieht es mehr als mies aus. Heute ist mal einer gefahren, der 16 Monate nicht auf Urlaub war. Da kannst Du Dir ausmalen, wie lange die Neuen noch warten müssen, wo ich noch kein halbes Jahr Soldat bin, man mag garnicht daran denken.
Ludsche hat es augenblicklich gut. Der soll nur froh sein, daß er in der Heimat sein kann, zumal seine Krankheit nicht gefährlich und vergänglich ist.
Jetzt haben wir ein paar Tage keine Post bekommen. Beim nächsten Mal wird wieder etwas von Dir dabei sein. Viel Post ist der einzigste Trost zurzeit.
Und nun will ich schließen. Grüße Heidi und Kai recht schön von ihrem Vati. Dir ebenfalls die herzlichsten Grüße und 1000 Küsse
Euer Vati
Ebenfalls herzliche Grüße an Deine Eltern.
Anm. d. Hg.: Ab dem 4.09.1942 (nachfolgend auf seinen 41. Brief) begann er die Nummerierung der Briefe wieder von vorne, weshalb dieser im Original die Nr. 6 trägt. Seitdem haben wir eine eigene fortlaufende Nummerierung eingeführt.
…ein einfacher Soldat berichtet seiner Familie tagesaktuell von seiner Reise durch Russland – hinein in den Kessel von Stalingrad.
Starless in Stalingrad
– 200 Tage –
– 100 Briefe –
– 1 Zeuge –
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Ein Gedanke zu “47. Brief – 17. September 1942”