65. Brief – 26. Oktober 1942

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– 23 –

Rußland, den 26.10.42

Liebes Frauchen!

Heute erhielt ich Deine Karte vom 7.10.42. Ich habe schon 9 Tage jetzt keine Post erhalten und heute kommt nur eine Karte an. Die anderen Kameraden bekommen alle mehr Post als ich. Du kannst Dich über meine Schreibfaulheit nicht beklagen, ich habe bisher immer viel geschrieben. Das ist der 23. Brief, den ich seit dem 25.9.42, also innerhalb eines Monats schreibe. Die heutige Karte trug keine Nummer.

Es ist wirklich unnötig, daß Du nun meinst, ich wäre jetzt mehr in Gefahr. Gewiß, ich bin jetzt immer in unserer Feuerstellung, aber noch lange nicht in der vordersten Linie. Die ist immerhin noch 5 – 6 km von uns entfernt, sie wird von Infanterie und Panzern gebildet. Unsere Werfer senden über diese Linie ihre Grüße zu den Russkis. So leicht kann in unserer Feuerstellung nichts passieren.

Das einzige, worunter wir zu leiden haben, sind die Flieger. Nachts sind die Russen dauernd über den deutschen Stellungen und bewerfen sie mit Bomben. Aber auch am Tage überraschen sie uns oft mit einem plötzlichen Angriff. Aber allmählich läßt einen das ganz kalt.

Wenn man das Fremdenblatt liest, fällt einem bei den Todesanzeigen auf, daß die meisten vor Stalingrad gefallen sind. Ehe Stalingrad nicht gefallen ist, wird auch in diesem Abschnitt keine Ruhe sein.

Über die Wolga werden wir dieses Jahr nicht gehen. Ich rechne schon garnicht mehr damit, daß wir diesen Winter noch herausgezogen werden. Augenblicklich sind wir feste dabei, stabile Bunker zu bauen. Aber das wollen wir alle gerne vergeblich machen, wenn wir noch herausgezogen werden. Ich will mich gerne überraschen lassen.

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Wenn Du mir das nächste Mal ein Päckchen schickst, füge dann eine Mausefalle bei. Dieses Viehzeug ist so dreist, daß es einem am hellen Tage im Bunker vor die Füße läuft. Mit den Läusen wird es jeden Tag doller. Gestern Abend habe ich über 100 Stück geknackt. Das schlimmste ist, daß man dagegen kein radikales Mittel hat. Es ist ein Glück, wenn man auf Urlaub fährt, daß man dann vorher entlaust wird. Sonst würde ich Dich auch noch mit diesem Viehzeug erfreuen.

Heute morgen habe ich mich nach 7 Tagen mal wieder rasiert. In Ermangelung von Wasser habe ich meinen Morgenkaffee dafür verwandt. An Waschen ist garnicht zu denken, da es hier in dieser Steppengegend keine Brunnen gibt. Du kannst dir vorstellen, was ich für ein Specker geworden bin. Aber das muß man vorläufig mal in Kauf nehmen, so unwohl man sich auch in seiner Haut fühlt.

Gut ist hier das Essen, meistens Konserven. Manchmal bekommen wir auch Schokolade, heute haben wir sogar eine halbe Flaschen französischen Schnaps jeder bekommen. Nur die Getränke müßten süß sein. Den Sacharin, den Dr. Schmidt geschickt hat, habe ich bis auf einen kleinen Rest aufgebraucht. Laß Dr. Schmidt wegen Sacharin keine Ruhe. Vielleicht kannst Du ihm das auf andere Art wieder gut machen.

Das Päckchen, das Deine Mutter am 18.9. abgeschickt hat, ist noch nicht eingetroffen. Von Ludsche habe ich einige Illustrierte bekommen. Als Absender schreibt er die Feldpostnummer 3701xx. Sage ihm hierfür meinen Dank. Ich habe ihm diesertage ein Päckchen geschickt. Als Anschrift habe ich Scheideweg genommen. Wenn das Päckchen eintrifft, sendet es ihm an seine neue Feldpostnummer nach.

Aber verwendet das Papier, das um das Päckchen ist, da darauf das Dienstsiegel unserer Einheit ist. Andere Päckchen werden ja ab 1.11..42 nicht mehr befördert.

Ich habe an Dich mehrere Päckchen unterwegs. In einem Päckchen ist ein Feuerzeug. Laß dies bitte bei der Wiener Feuerzeug-Zentrale (Herrn Schade mitgeben) machen. Dann habe ich Dir eine Leibbinde geschickt. Die kannst Du doch gut den Winter über tragen.

Wie Du schreibst, willst Du am 20.10.42 wieder in Hamburg sein. Demnach müßtest Du jetzt schon in Hamburg sein. Ich werde trotzdem die Post weiterhin zum Scheideweg adressieren, da ich annehme, daß Du vielleicht doch noch zu Familie Timme ziehen wirst. Mir ist es nicht recht, daß Du wieder mit den Kindern in Hamburg bist.

Gestern Abend habe ich mir wieder prima Wasserpudding gemacht. Schokoladenpudding schmeckt mir am besten. Gelegentlich kannst Du mir noch mal Puddingpulver schicken.

Mein Wissen ist erschöpft. Leider bekomme ich die Seiten nicht mehr alle voll.

Ich werde jetzt noch Ludsches Illustrierte lesen, anschließend Läuse knacken und mich dann auf meine kümmerliche Lagerstätte legen.

Für heute Dir, Heidi und Kai die allerherzlichsten Grüße und Küsse von

Eurem Vati.

Anm. d. Hg.: Ab dem 4.09.1942 (nachfolgend auf seinen 41. Brief) begann er die Nummerierung der Briefe wieder von vorne, weshalb dieser im Original die Nr. 23 trägt. Seitdem haben wir eine eigene fortlaufende Nummerierung eingeführt.

 


…ein einfacher Soldat berichtet seiner Familie tagesaktuell von seiner Reise durch Russland – hinein in den Kessel von Stalingrad.

Starless in Stalingrad

– 200 Tage –
– 100 Briefe –
– 1 Zeuge –

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