86. Brief – 27. Dezember 1942

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– 44 –

Rußland, den 27.12.42

Mein liebes gutes Frauchen!

Zwei Tage sind rum, ein Brief ist fällig. Trotz mehrfacher Versprechungen haben wir noch immer keine Post bekommen. Es ist schrecklich, wenn man so lange ohne Nachricht ist.

Die Weihnachtstage sind so trostlos verlaufen, wie der Heiligabend. Es wäre hier alles besser zu ertragen, wenn man ausreichende Verpflegung hätte. Mir ist es dauernd schwindlig im Kopf vor Kohldampf. Den Luxus, morgens zu frühstücken, kann man sich schon garnicht mehr erlauben. Mittags bekommen wir ein Kochgeschirr Suppe und abends verpinselt man sein 1/8 Brot. Da wir für vier Tage ein halbes Brot empfangen, ist es meistens so, daß man der Versuchung nicht widerstehen kann und das Brot in den ersten beiden Tagen schon wegfrißt. Dann muß man die restlichen Tage Kohldampf schieben. Hoffentlich dauert das nur nicht mehr lange an. Man kann es sich schon garnicht mehr vorstellen, daß man mal täglich ein halbes Brot empfangen hat.

Wie der O.K.W.-Bericht meldete, sind im mittleren Dongebiet dauernd heftige Kämpfe. Aber man hört noch immer nichts davon, daß der Kessel auf ist. Auf diese erlösende Meldung warten wir alle. Aber in diesem Jahr wird es wohl nichts mehr werden.

Das neue Jahr wird uns erst die frohe Botschaft bringen. Wir haben zwar keine Angst, daß uns der Russe vereinnahmen könnte. Dafür ist er zu schwach. Es handelt sich alles nur um eine bessere Verpflegung.

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Was glaubst Du, wie wir alle unsere Weihnachtspäckchen vermisst haben. Sie hätten uns den Weihnachten leichter gemacht.

Jetzt sind es schon sieben Monate her, daß wir uns nicht mehr gesehen haben. Es ist nur schön, daß wir eine glückliche Ehe führen. Dies ist das einzigste, was mich in diesem trostlosen Dasein aufmuntert. Ich weiß, daß unsere Kinder bei Dir in treuer Obhut sind und daß Du die anderen Sachen nach bestem Können erledigst. Wenn ich so manchmal von Kameraden höre, wie die über ihre Frauen sprechen, geht mir doch der Hut hoch. Sie denken, dadurch interessant zu erscheinen, ich habe nur ein Mitleid für sie. Wenn die von ihrem Zuhause reden, dreht sich alles nur um den Suff.

Man erzählt, wenn der Kessel offen ist, daß wir dann bestimmt herausgezogen würden. Hoffentlich ist da diesmal etwas Wahres dran. Der Urlaub wird dann auch wieder einsetzen. Hoffentlich ist das Glück mir dann beschieden.

Ich weiß garnicht, was ich alles machen werde, wenn ich drei Wochen bei Euch sein kann. Ausgehen werde ich jedenfalls nicht viel, ich werde mich nur der Familie widmen. Ich kann es mir garnicht ausmalen, wie es mir sein wird, wenn ich Dich mal wieder in den Arm nehmen kann, und Heidi um mich springen wird, und ich mich an dem Anblick von Kai erfreuen kann. Hoffentlich liegt nicht alles so sehr in weiter Ferne.

Und nun, mein liebes Frauchen, Heidi und Kai, hoffentlich seid Ihr gut ins Neue Jahr gekommen. Mit den allerherzlichsten Grüßen und Küssen

Euer Vati

Ebenso herzliche Neujahrsgrüße an Deine Eltern

Euer Vati

Anm. d. Hg.: Ab dem 4.09.1942 (nachfolgend auf seinen 41. Brief) begann er die Nummerierung der Briefe wieder von vorne, Deshalb trägt dieser im Original die Nr. 44. Seitdem haben wir eine eigene fortlaufende Nummerierung eingeführt.

 


…ein einfacher Soldat berichtet seiner Familie tagesaktuell von seiner Reise durch Russland – hinein in den Kessel von Stalingrad.

Starless in Stalingrad

– 200 Tage –
– 100 Briefe –
– 1 Zeuge –

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