– 46 –
Rußland, den 1.1.43
Mein liebes Frauchen!
Nun ist das alte Jahr auch rum. Unsere Sylvesterfeier war zeitgemäß belämmert. Von der Batterie hatten wir jeder 120 Zigaretten und zu drei Mann eine Flasche Schnaps als Sylvestergeschenk bekommen. Dieser Schnaps reichte natürlich nicht aus, um einigermaßen in Stimmung zu kommen, zumal wir alle einen hungrigen Magen dauernd haben.
Wir hatten schon zeitig gegen 4 Uhr begonnen, das alte Jahr zu begießen. Um die Jahreswende hatten wir gerade noch einen Schluck, um das neue Jahr zu begrüßen. Alle bemühten sich, lustig zu sein, es wurden alle Schlager durchgesungen. Aber eine Stimmung kam beim besten Willen nicht auf.
Auf jedem lastete ein Alpdruck, jeder war natürlich in Gedanken bei seiner Familie. So auch ich. Ich bemühte mich vergeblich, lustig zu sein, um über die augenblickliche trostlose Lage besser hinwegzukommen. Aber in fast jeder Minute war ich bei Euch und simulierte, was Ihr wohl jetzt gerade machen würdet. Diese Gedanken hatten deshalb doch für mich etwas Schönes, da ich dadurch mit Euch verbunden war.
Kurz vor 12 Uhr sangen wir das Lied „Ich tanze mit Dir in den Himmel hinein“. Dieses Lied erinnerte mich an unseren Verlobungswalzer, und die Tränen standen mir in den Augen, als ich an diese schöne Zeit denken mußte. Den ganzen Abend zogen natürlich die Gedanken an unser erstes Kennenlernen an mir vorbei. Schöne Stunden, wenn man daran denkt.
Um 12 Uhr habe ich auf unsere Gesundheit und Euer Wohlergehen getrunken. Ich wußte, daß Du in dieser Minute bestimmt bei mir warst. Gegen 1 Uhr sind wir sind dann schlafen gegangen.
Zwischen 9 und 10 Uhr hatte ich Wache. An diesem Abend war es an der Front besonders lebhaft. Dauernd sah man das Aufblitzen der Kanonen in der Ferne. Da konnte man so richtig mal wieder die Infanteristen bedauern, die vorne in den Gräben sich mit den Russen in der Sylvesternacht herumschlagen mußten. Ich bin doch froh, daß ich Rechnungsführer wieder bin und meine Arbeit im warmen Zimmer machen kann. Als Fernsprecher müßte ich jetzt draußen meinen Dienst verrichten, was im Winter bestimmt nicht angenehm ist.
Mit dem Winter ist es hier bestimmt zu ertragen. Wir hatten mal ein paar kalte Tage, aber im allgemeinen sind bisher die Temperaturen wenige Grad unter Null. Wie man hier hört, soll es auch hier nicht besonders kalt werden. Ende Februar bzw. Anfang März soll nach einer kurzen Regenperiode der Frühling bereits seinen Einzug halten. Wenn bis dahin der Kessel wieder auf ist und die Verpflegung wieder normal ist, werde ich wieder mit lachenden Augen in den lachenden Tag sehen, soweit es möglich ist.
Verfolge nur weiterhin eifrig die Wehrmachtsberichte. Eines Tages wird doch die Meldung kommen, daß der Kessel gesprengt ist. Dann wird es uns auch wieder in Bezug auf Verpflegung besser gehen. Darum dreht sich zurzeit alles bei uns.
Und nun seid alle recht herzlich gegrüßt und viele tausendmal recht herzlich geküßt
von
Eurem Vati.
„Ich tanze mit Dir in den Himmel hinein“:
Original (schlechte Qualität):
Anm. d. Hg.: Ab dem 4.09.1942 (nachfolgend auf seinen 41. Brief) begann er die Nummerierung der Briefe wieder von vorne, Deshalb trägt dieser im Original die Nr. 46. Seitdem haben wir eine eigene fortlaufende Nummerierung eingeführt.
…ein einfacher Soldat berichtet seiner Familie tagesaktuell von seiner Reise durch Russland – hinein in den Kessel von Stalingrad.
Starless in Stalingrad
– 200 Tage –
– 100 Briefe –
– 1 Zeuge –
als e-Book
Hier direkt im eBook blättern bei:
Amazon (Kindle)
Thalia (e-PUB)
Lesbar auf:
- allen gängigen eReadern (Kindle, Tolino, Pocketbook, etc.)
- allen Tablets, Smartphones, Laptops und Computern – mit kostenfreien eReader-Apps (Kindle, iBooks, Calibre, Tolino, etc.)
Optimiert mit:
- Inhaltsverzeichnis zum Navigieren
- Einleitung und Zusammenfassungen
- persönlichem Vor- und Nachwort des Herausgebers
- Zitatesammlung
- Kindle: Text-to-Speech-Vorlesemodus, Screenreader, verbesserter Schriftsatz